Unsere Klassenfahrt nach Scharzfeld
16. bis 24. Juni 1961

aufgezeichnet und bebildert von Adelinde Sparringa, 9 A

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Unser Anreisetag: Freitag, 16. Juni 1961

Um 6.30 fuhren wir von Leer ab. Die Fahrt ging über Bad Zwischenahn, Oldenburg und Bremen nach Hannover. Wir hatten dreieinhalb Stunden Zeit, uns in Hannover umzusehen. Unser Weg führte uns an den Maschsee. Die herrlichen sauberen Anlagen des Sees und des daneben liegenden Maschparks beeindruckten mich sehr. Vor einem großen Hotel wuchsen sogar Palmen. Jedoch in großen Töpfen, die im Winter ins Haus getragen werden konnten. Nachdem wir unsere Frühstückspause beendet hatten, besahen wir uns das Niedersachsenstadion. Zuletzt hatten wir auf den Rolltreppen vor dem großen Kaufhaus Karstadt noch unseren Spaß. Doch schon bald saßen wir wieder im Zug, voller Erwartung dessen, was uns in Scharzfeld erwarten würde.

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Verschnaufen am Maschsee


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Gut drei Stunden Zeit für Hannover:
Durch die Stadt und über den Maschpark
geht es zum Niedersachsenstadion

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Das Dorf Scharzfeld mit uralter Geschichte liegt, umgeben von Buchen- und Fichtenwaldungen, am Fuße des milden Südharzes in einem von der Oker durchflossenen Talkessel, der nach Südwesten offen ist. Verkehrstechnisch ist es leicht von überall her zu erreichen. Das im Bremketal gelegene, von herrlichem Mischwald umschlossene Waldschwimmbad mit seinen ausgezeichneten Liegewiesen ist in zehn Minuten von der Ortsmitte zu erreichen. Scharzfeld zeigt dem Besucher Bodendenkmäler, die noch von der Eiszeit künden. Hermann Löns hat hier jahrelang die Tier- und Pflanzenwelt belauscht. Bis heute hält sich in dem ausgedehnten Bergwald ein reicher Wildbestand an Hirschen, Wildschweinen, Füchsen, Rehen und Hasen. Scharzfeld ist ein beliebter Ausflugsort für Wanderungen zur Einhornhöhle, Steinkirche, Ruine Scharzfels, zum Großen Knollen oder über Himmelshöhe nach Bad Lauterberg.

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Endlich angekommen:
Dorf Scharzfeld mit Jugendherberge

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Wir waren zutiefst beeindruckt von der herrlichen, von Wädern umsäumten Gebirgswelt. Unsere Koffer wurden mit einer Taxe zur Herberge gefahren, doch wir mußten noch einen kleinen Weg zurücklegen, bis wir dann endlich unsere Herberge erreicht hatten. Wir waren ganz begeistert von der großartigen Lage des kleinen Ortes Scharzfeld. Die Jugendherberge lag auf einem Berg. Ringsherum war Wald. Beim Anblick der Felsen waren wir uns gleich einig, wo wir die freien Stunden verbringen würden. Trotz unserer Müdigkeit waren wir alle begeistert von dem Vorschlag unseres Lehrers, noch ein Bad zu nehmen. Das herrliche Waldschwimmbad lag etwa zehn Minuten von unserer Herberge entfernt. Das Wasser war eiskalt - 14 Grad! Es war ja auch Gebirgswasser! Nach einem halbstündigen Bad war es Zeit zurückzukehren, um bei einer heißen Tasse Tee den Rest unserer Marschverpflegung zu verzehren. Als wir in den Betten lagen, waren wir natürlich alle hellwach. Bis spät in die Nacht hinein wurde hoch Radau gemacht. Am nächsten Morgen um vier Uhr regte sich schon die erste, um auch die anderen alle wach zu machen.

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Das Waldschwimmbad, eine willkommene Abkühlung


Sonnabend, 17. Juni - Tag der deutschen Einheit

An diesem Tag beschlossen wir, an die Zonengrenze zu fahren. Da wir nun schon in Walkenried waren, nahmen wir uns bei der Gelegenheit einen Führer, der uns das ehemalige Kloster Walkenried zeigte. Der Führer schilderte zwar nicht gerade interessant den Verlauf des Ganzen, dafür aber war der Bau umso interessanter. Es ist kaum zu glauben, daß die Mönche diesen gewaltigen Bau mit der Hand geschaffen haben. Die vielen Figuren und Rosetten wurden alle mit Hammer und Meißel in den Stein gehauen. Wie leicht konnte eine solche Arbeit kurz vor der Vollendung zerspringen?! Wieviel Mühe müssen diese Mönche angewandt haben, um aus Felsbrocken so prächtige Gebäude zu schaffen! Heute kostet es eine ungeheure Menge Geld, um eine Säule mit den originalen Figuren herzustellen. Leider ist dieses einzigartige Werk zum Teil stark beschädigt. Jedoch ist man damit beschäftigt, einzelne Teile des Gebäudes wiederherzustellen, wobei man aber mit viel Arbeit und Geld rechnen muß.

Nach der Besichtigung des Klosters setzten wir unseren Weg fort in Richtung Zonengrenze. Es war scheußlich, was sich uns hier bot: Stacheldraht, und dahinter der 5 Meter breite Todesstreifen. In bestimmten Abständen waren Wachtürme errichtet, von denen aus die Vopos die Grenze zwischen Deutschland und Deutschland beobachteten, um gegebenenfalls einen abzuschießen, der versuchte zu fliehen. Auf der anderen Seite arbeiteten die Menschen auf den Feldern. Was für Gedanken mögen sie mit sich tragen? Wir waren tief beeindruckt von dem, was wir hier vor uns sahen. Ein großes Hetzschild war aufgestellt: Adenauer steht auf einer Uno-Leiter mit einer Rakete in der Hand. Die Worte lauten: Wer hoch hinaus will, fällt tief. An diesem Tag besuchten viele Bundesbürger die Zonengrenze. Man gedenkt des Arbeiteraufstandes in Berlin am 17. Juni 1953. In Gedanken versunken, kehrten wir zur Herberge zurück.

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Deutsch-deutsche Realität 1961: die innerdeutsche Grenze
(siehe auch den Bericht über Karl Bartels auf der Seite ERINNERUNG I)



Doch der Tag war für uns noch nicht zu Ende. Wir beschlossen, uns die Einhornhöhle anzusehen, eine der schönsten Sehenswürdigkeiten in Scharzfelds Umgebung. Die Einhornhöhle ist eine Tropfsteinhöhle. Der Name stammt von dem Sagentier Einhorn. In der Eiszeit entstand diese, wie viele andere Höhlen, durch Auswaschungen. Die Zapfen, die von den Decken herunterhängen, bestehen aus Kalk. Als das kalkhaltige Wasser durch die Decke tropfte, blieb der Kalk an der Decke hängen. So bildeten sich in den Jahrtausenden die Zapfen. In der Höhle wurden Skelette von Höhlenbären und Riesenhirschen gefunden. Teile davon waren am Eingang der Höhe in einem Kasten ausgestellt. Als wir die Höhle betraten, empfing uns eisige Kälte. Der Boden war matschig und und uneben. Zum Teil waren die Gänge so niedrig, daß wir gebückt gehen mußten, um uns nicht die Köpfe anzuschlagen. Fast alle Höhlenräume hatten ihre Namen: es gab einen
Schillersaal, eine von Alten-Kapelle, in der eine Strudelbildung zu erkennen war, und ein Weißer Saal war auch vorhanden. In der Hexenhöhle wurde uns von dem Führer ein Ofen der Hexe gezeigt. Eine rege Phantasie, das muß man ja sagen. Von der Blauen Grotte führte eine Treppe hinaus ins Freie. Bevor wir zur Herberge zurückkehrten, erfrischten wir uns noch kurz im Waldbad.



Sonntag, 18. Juni

Heute traten wir den Weg nach Herzberg an. Wir wollten hier zur Kirche gehen, weil in Scharzfeld keine katholische Kirche vorhanden ist. Wir mußten auf der Landstraße laufen, was sehr anstrengend war. Herzberg ist ein wunderschöner Ort im Siebertal. Eine herrliche Badegelegenheit bietet der Juessee. Nachmittags beschlossen wir, uns im Waldbad abzukühlen, denn es war ein herrlicher Tag. Aber vorher gingen wir noch zur Steinkirche, eine ebenfalls aus der Steinzeit stammende Höhle. Bonifatius machte dann eine Opfer- und Weihestätte daraus.


Montag, 19. Juni
Schon früh machten wir uns auf den Weg nach Bad Lauterberg. Unser Weg führte uns über die waldbedeckten Berge. Auch die Himmelshöhe überquerten wir. In Bad Lauterberg angekommen, fuhren wir mit dem Sessellift einen Berg hinauf. Auf dem Berg stand ein Café. Hier machten wir kurz Rast und fuhren dann wieder mit dem Lift hinunter. Der Weg nach Bad Lauterberg war zwar sehr schön, aber auch sehr anstrengend, und so waren wir froh, mit dem Zug wieder nach Scharzfeld zurückfahren zu können. Wie gwohnt, gingen wir auch heute wieder in die Badeanstalt. Anschließend trugen wir die Erlebnisse der vergangenen Tage ins Protokollheft ein.

Dienstag, 20. Juni
Für heute ist eine Harzrundfahrt mit dem Bus geplant. Auf der Okertalsperre in Bad Lauterberg unternahmen wir eine halbstündige Bootsfahrt. Die Okertalsperre ist umrahmt von waldbedeckten Bergen. Dann ging die Fahrt weiter mit dem Bus über Braunlage nach Torfhaus. Torhaus liegt 800 hoch. Von dort hatten wir einen guten Blick auf das Gipfelkreuz des Brocken. Auf dem Weg nach Bad Harzburg sahen wir die Wiesentalbaude, ein Haus, in dem im Sommer wie im Winter die Tiere des Waldes gefüttert werden. Einen wundervollen Anblick bot der Radauer Wasserfall in Bad Harzburg. Von Bad Harzburg ging die Fahrt weiter in Richtung Goslar. Unterwegs sahen wir ein großes Kreuz, das auf einem Berg steht und weithin sichtbar ist. Es ist das
Deutsche Kreuz des Ostens, ein Mahnmal der Flüchtlinge. In Goslar nahmen wir uns einen Führer, der uns einige Gebäude der Stadt zeigte.

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Harz-Impressionen:
bei Clausthal-Zellerfeld, auf dem Okersee, an der Rhume-Quelle, in Goslar

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In Clausthal-Zellerfeld besichtigten wir ein Bergwerksmuseum. Im Schaukasten waren viele verschiedene Gesteinsarten ausgestellt. Anhand eines Modells versuchte uns der Führer klarzumachen, wie die Arbeit in einem Bergwerk funktioniert. Anschließend wurden wir in eine stillgelegte Grube geführt.

An der Oker- und Lösetalsperre vorbei ging es zurück nach Scharzfeld. Im Okertal lagen die Felsen so aufeinander, daß man aus ihnen Figuren erkennen konnte, z. B. einen Frosch, einen schlafenden Löwen und einen Ziegenrücken. Auch eine Hexenküche, eine Mausefalle und ein Treppenstein waren durch Felsen dargestellt. Würde sich bei der Mausefalle ein Stein lösen, würden alle anderen Steine auch herunterfallen.

Mittwoch, 21. Juni
Wir wanderten zur Rhumequelle, eine der größten Quellen Europas. Sie fördert in der Sekunde etwa 4000 bis 5000 Liter Wasser. Jeder Einwohner Deutschlands könnte jeden Tag einen Eimer Wasser von hier erhalten. Anschließend gingen wir wieder ins Waldschwimmbad.

Donnerstag, 22. Juni
Heute unternahmen wir eine Tageswanderung. Morgens um neun Uhr marschierten wir los. Immer bergauf und den Berg wieder hinunter durch kühle Wälder. Hin und wieder machten wir kurz Rast und verspeisten unsere Marschverpflegung, die wir von der Jugendherberge mitbekommen hatten. Unser Ziel war St. Andreasberg. Sehr anstrengend war es, den Großen Knollen zu besteigen. Auf dem Gipfel war ein Restaurant. Hier verschnauften wir kurz und stiegen dann hinunter nach St. Andreasberg. Es war etwa 15 Uhr, als wir dort ankamen. Bis 15.45 mußten wir auf dem Bahnhof warten, bis uns ein Zug wieder zurück nach Scharzfeld fuhr. In einer Dreiviertelstunde waren wir mit dem Zug denselben Weg gefahren, den wir vorher in sechs Stunden zu Fuß zurückgelegt hatten. Aber eine Wanderung durch die Berge hat doch etwas Schönes an sich, wenn man auch manchmal viele Meter hinter den anderen herschlurt.

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Nach anstrengender Wanderung… eine wohlverdiente Verschnaufpause


Freitag, 23. Juni

Heute, am letzten Tag, unternahmen wir weiter nichts. Vormittags konnten wir uns selbst beschäftigen, nach dem Essen gingen wir zum Baden. Den ganzen Nachmittag tummelten wir uns dort.

Sonnabend, 24. Juni
Heute heißt es für uns Abschied nehmen. Dieser Abschied ist uns sehr schwer geworden, obwohl wir uns auch wieder auf unser Zuhause freuten. Wie schön war es, durch dichte Wälder und über hohe Berge zu wandern. Abends saßen wir dann immer auf den gewaltigen Felsen und betrachteten oft lange Zeit schweigend die schöne Gegend. Jeder hing dann seinen eigenen Gedanken nach. Wie schön war es, in der Freizeit mit Freundinnen durch den Wald zu streifen, die Tiere zu beobachten und dem lieblichen Gesang der Vögel zu lauschen. Und abends im Bett, was gab es da nicht alles zu erzählen! Ich glaube, wir alle denken noch oft und gerne an die Zeit in der Jugendherberge Scharzfeld zurück.